Gendergerecht oder Gendergaga? Eine Metaanalyse über den Einfluss von geschlechtergerechten Formulierungen auf das Lesen

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Abstract

Geschlechtergerechte Sprache wird medial, politisch und gesellschaftlich kontrovers diskutiert. Befürworterinnen und Befürworter möchten alle Geschlechter sprachlich repräsentieren und dem male bias durch das generische Maskulinum entgegenwirken. Im Gegensatz dazu befürchten Kritikerinnen und Kritiker negative Auswirkungen auf das Lesen. Bisher fehlen eindeutige Forschungsergebnisse zum Einfluss von geschlechtergerechter Sprache auf subjektive Textwahrnehmung und objektives Textverständnis. Daher aggregiert die vorliegende Metaanalyse Daten von 24 bisher unpublizierten Primärstudien mit insgesamt 922 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, welche den Einfluss verschiedener geschlechtergerechter Formulierungen im Vergleich zum generischen Maskulinum auf die subjektive Textwahrnehmung (Güte der Formulierungen, Lesbarkeit, Verständlichkeit, kognitive Belastung) sowie das objektive Textverständnis (Erinnerungsleistung und Lesedauer) untersuchten. Zusätzlich untersuchte die Metaanalyse, ob die Art der geschlechtergerechten Formulierung (Gendersternchen, Binnen-I, Doppelpunkt, Beidnennung) die Effekte moderiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der einzelnen Online-Studien wurden dafür randomisiert auf die verschiedenen Bedingungen aufgeteilt und mussten einen Text über die Schulschließungen während der Pandemie lesen und im Anschluss Fragebögen sowie einen auf den Text bezogenen Wissenstest ausfüllen. Lediglich bei der wahrgenommenen Verständlichkeit zeigte sich in den Random Effects Modellen ein kleiner negativer Effekt der geschlechtergerechten Varianten gegenüber dem generischen Maskulinum. Bei allen anderen Variablen waren die Effekte nicht signifikant. Die Art der geschlechtergerechten Formulierung hatte für keine der abhängigen Variablen einen signifikant moderierenden Einfluss.Die vorliegende Metaanalyse zeigt somit, dass das objektive Textverständnis nicht durch geschlechtergerechte Formulierungen eingeschränkt wird, auch wenn die subjektiv wahrgenommene Verständlichkeit etwas schlechter bewertet wird. Diese schlechtere Bewertung der Verständlichkeit drückt möglicherweise die Skepsis gegenüber geschlechtergerechten Formulierungen aus. Menschen gewöhnen sich allerdings schnell an sprachliche Änderungen; eine regelmäßige Konfrontation kann im Sinne des Effekts der Darbietungshäufigkeit den Gewöhnungsprozess positiv beeinflussen.

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