Minderheitensprache, heritage language oder Familiensprache? Überlegungen zur Sprachbegrifflichkeit am Beispiel des Nordfriesischen
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Wer sich mit dem Nordfriesischen beschäftigt, stellt schnell fest, dass diese Sprache von Politiker:innen meist ‚Friesisch‘ genannt und als ‚Minderheitensprache‘ kategorisiert wird. Sprachwissenschaftler:innen nennen sie jedoch eher ‚Nordfriesisch‘ und kategorisieren sie u.a. als ‚bedrohte Sprache‘ — zumindest, wenn sie im deutschsprachigen Raum arbeiten, denn im englischsprachigen Raum gibt es wieder andere Begriffe. Im Gegensatz hierzu verwenden Muttersprachler:innen von den Nordfriesischen Inseln typischerweise die Eigenbezeichnung ihres Dialekts (z.B. „Sölring" auf Sylt oder „öömrang" auf Amrum) und Muttersprachler:innen vom Festland das in ihrem Dialekt übliche Wort für ‚Friesisch‘ (z.B. „freesk" in der Wiedingharde oder „frasch" in der Bökingharde). Des Weiteren identifizieren die Nordfries:innen sich als Volksgruppe statt als Minderheit, und sie interpretieren den Begriff ‚bedrohte Sprache‘ meist anders als er in der Wissenschaft definiert ist. Dies bedeutet, dass sie ihre Sprache tendenziell auch nicht auf die gleiche Weise kategorisieren, wie Politiker:innen oder Sprachwissenschaftler:innen es tun, sondern sie stattdessen eher als ‚Familiensprache‘ beschreiben. Und dies ist erst die Spitze des Eisbergs, was die Begrifflichkeit in Bezug auf das Nordfriesische angeht. In diesem Artikel thematisieren wir die Vielfalt der Sprachbegrifflichkeit am Beispiel des Nordfriesischen. Wir thematisieren und problematisieren die vielen Begriffe, mit denen das Nordfriesische (a) bezeichnet und (b) kategorisiert wird, wobei wir jeweils drei Ebenen unterscheiden: (1) die politische, (2) die wissenschaftliche und (3) die gesellschaftliche Ebene. Den Abschluss unseres Artikels bildet eine Diskussion, in der wir schlussendlich die Wichtigkeit des Eingehens auf die relevante Zielgruppe im jeweiligen Kontext unterstreichen.